Notruf für Menschen in seelischen Krisen: Krisendienst Psychiatrie für ganz Oberbayern

0180 / 655 3000 – täglich von 9 bis 24 Uhr: Oberbayern bekommt einen psychiatrischen Krisendienst mit einheitlicher Notrufnummer. Vorbild ist der seit 2007 bestehende Krisendienst Psychiatrie München, der in die neue Organisation integriert wird. Der Krisendienst Psychiatrie wird schrittweise ausgebaut: Seit Juni ist der Landkreis München am Netz; im Herbst 2016 folgen die Landkreise um München sowie Südost-Oberbayern.

Das Projekt ist laut Bezirkstagspräsident Josef Mederer ein „Meilenstein für die Versorgung psychiatrischer Notfälle“. Es wird zunächst für fünf Jahre in der Praxis erprobt. Die Kosten liegen im Endausbau bei zirka 7,4 Millionen Euro pro Jahr, der Personalbedarf nach ersten Berechnungen bei bis zu 88 Stellen. Ausgelegt ist das Angebot auf rund 20.000 Anrufe im Jahr.

Zum Start im Landkreis München wird auch die neue Homepage unter www.krisendienst-psychiatrie.de freigeschaltet. Dort ist ein Video sowie ein Interview (Wortlaut siehe Dateianhang) mit Alexander Huber eingestellt. Der Extrembergsteiger ist  ehrenamtlicher Fürsprecher des Krisendienstes. Da er bereits selbst eine seelische Krise überwunden hat, ermutigt er Menschen in psychischer Not, sich rasch Hilfe zu holen. Huber: „Wenn man einen Berg besteigen will, bringt es nichts, immer nur um den Berg herumzulaufen. Irgendwann muss man den Berg angehen. Gleiches gilt auch für Krisen im Leben. Wenn man merkt, dass es einem nicht gut geht, sollte man selbst aktiv werden.“

„Der Aufbau des Krisendienstes ist für den Bezirk eine gewaltige Kraftanstrengung. Aber wir schultern das, weil der Krisendienst für uns ein Herzensanliegen ist“, sagte Bezirkstagspräsident Mederer. „Endlich können Menschen in akuten seelischen Krisen einen Hilferuf an einer dafür ausgewiesenen Fachstelle absetzen. Die Leitstelle unterstützt sie fachkompetent, das jeweils am besten geeignete Hilfeangebot zu finden – mit der bestmöglichen Wohnortnähe. Dadurch wird hoffentlich auch eine ganze Reihe der bisher in solchen Situationen üblichen Polizeieinsätze überflüssig.“

Den Beschluss zur Aufbau des Krisendienstes Psychiatrie hatte der Sozial- und Gesundheitsausschusses des oberbayerischen Bezirkstags im Juni 2015 gefasst.

Der Aufbau erfolgt Zug um Zug, geplant ist derzeit folgender Ablauf:
•    Herbst 2016: Landkreise Erding, Freising, Dachau, Fürstenfeldbruck, Starnberg und Ebersberg
•    Herbst 2016: Südost-Oberbayern mit Stadt und Landkreis Rosenheim sowie den Landkreisen Mühldorf am Inn, Altötting und Berchtesgadener Land
•    Frühjahr 2017: Oberland mit den Landkreisen Weilheim-Schongau, Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach sowie Landsberg am Lech
•    Herbst 2017: Stadt Ingolstadt und die Landkreise Eichstätt, Pfaffenhofen sowie Neuburg-Schrobenhausen

Die Krisenanrufe gehen bei der Leitstelle im kbo-Atriumhaus in München ein. Diese ist ärztlich geführt, fachlich kompetent besetzt und übernimmt die Erstberatung mit der Koordinierung geeigneter Hilfen. In den Versorgungsregionen liegt die Krisenintervention in den Händen von dezentral verorteten Fachstellen (unter anderem Sozialpsychiatrische Dienste und Psychiatrische Institutsambulanzen). Je nach Bedarf erfolgt die Krisenhilfe über kurzfristige ambulante Beratungstermine, Kriseneinsätze vor Ort oder stationäre Klinikeinweisungen. Netzwerkpartner für die Vor-Ort-Einsätze sind die Träger der Freien Wohlfahrtspflege. Aus Sicht des Sprechers der Netzwerkpartner für die Region München, Horst Reiter, ist der Krisendienst ein „deutschlandweit einmaliges Verbundprojekt“.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt in der aufsuchenden Krisenhilfe, die auch präventiv erfolgen kann, um die Zuspitzung einer Krise abzuwenden. Der Münchner Krisendienst hatte 2015 rund 13.000 Telefonkontakte. Laut der Gebietskoordinatorin für München, Andrea Kreppold-Roth, waren bei etwa sieben Prozent Vor-Ort-Einsätze erforderlich. „Unsere Aufgabe als Krisenhelfer ist es, möglichst passgenau zu den geeigneten Hilfestellen hinzuführen. So kann die Krisensituation gemeinsam gemeistert werden.“ Die Leitstelle übernimmt hierbei nach den Worten des ärztlichen Leiters, Michael Welschehold, die zentrale Lotsenfunktion. „Wir hören zu, deeskalieren, beraten und vermitteln. Die Betroffenen wissen in ihrer Not am wenigsten, wo es passende Hilfe gibt.“

Das bestätigen auch Vertreter der Betroffenen-Verbände sowie der Angehörige, die seit Jahrzehnten den Aufbau einer psychiatrischen Krisenversorgung gefordert haben. „Unsere Erfahrungen mit dem Münchner Krisendienst sind sehr positiv. Wir sind daher froh, dass bald Patienten in ganz Oberbayern auf den Krisendienst bauen können“, sagte Gottfried Wörishofer, Geschäftsführer der Münchner Psychiatrie-Erfahrenen.

„Es wird eine menschenwürdige, flächendeckende, ambulante Krisenversorgung geben, die die Tür aufmacht für psychiatrische Behandlungen“, erklärte Eva Straub, stellvertretende Landesvorsitzende der Angehörigen psychisch Kranker. „Statt eines Helferteams kamen bisher oft der Krankenwagen mit Polizeieskorte. Vertrauen zerbrach, der Glaube an eine hilfreiche Psychiatrie ging verloren. Das wird es so nicht mehr geben.“

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